Vom zähen Kampf mit der überbordenden Bürokratie: Die Caritas will sich um Menschen kümmern, nicht um Papiere
Wie wollen wir im Alter leben? Diese Frage betrifft schon heute viele. Aber ihre Bedeutung wächst, die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den Ruhestand, immer mehr benötigen für ein würdiges Leben Unterstützung. Eine Frage mit großer politischer Sprengkraft, denn die Hilfssysteme sind noch längst nicht darauf ausgerichtet. Es gibt einerseits Fehlstellungen und Fehlanreize bei Förderung und Finanzierung. Und es gibt andererseits eine überbordende Bürokratie, die Projekte erschwert und Alltag überlastet. Man muss schon idealistisch motiviert sein, um sich in diesem Feld so stark zu engagieren, wie es gesellschaftlich nötig ist. Gewinne erzielen geht hier gar nicht, zumindest wenn es nicht die Qualität der Versorgung und der Arbeitsbedingungen beeinträchtigen soll.
Ein Träger, der trotz dieser widrigen Umstände pionierhaft zeigt, was geht, wenn man nur will, ist die Caritas in der Bistumsregion Mönchengladbach. Am Caritaszentrum Holt wird modellhaft sichtbar, wie sich die Zukunft des Lebens im Alter sozial gestalten lässt. Hier bündeln und verzahnen sich Angebote, die persönliche Bedingungen und Bedürfnisse der alten und kranken Menschen bestmöglich berücksichtigen. Neben 115 Plätzen im Altenheim gibt es jeweils 16 Plätze für Kurzzeit- und Tagespflege, was Menschen ermöglicht, weiter zu Hause leben zu können, und ihre pflegenden Angehörigen entlastet. Zusätzlich bietet die Caritas 19 Frauen und Männern das Leben in ambulant betreuten Wohngemeinschaften an, sowie 19 Wohnungen mit Serviceangebot für Senioren. Abgerundet wird das Ensemble mit 36 öffentlich geförderten Seniorenwohnungen.
Diese ganzheitliche Kombination von Wohnformen für Menschen, die altern und alt sind, passte gut in die Fahrstrecke der Caritas-Sommertour 2021 in Mönchengladbach. Angeführt von Caritasvorstand Christof Wellens und Geschäftsführer Frank Polixa, machte ein Tross Rad fahrender Gäste vom Diözesancaritasverband Station in Holt. Dort ging es darum, Wahlkampf für die Leute zu führen, deren Stimme in der Regel nicht gehört wird, wie Diözesancaritasdirektor Stephan Jentgens eingangs sagte. Mit welcher wertschätzenden Haltung im Caritaszentrum gearbeitet wird, zeigte sich daran, dass Bewohnerinnen in diesen Wahlkampf einbezogen wurden. Brigitte Winzen und Gisela Hillers zum Beispiel erzählten, wie wohl sie sich als Gäste der Tagespflege fühlen. Angehörige Rosi Bettac unterstrich, wie stark dieses Angebot die Familien entlastet. Besonders hat man das in der Corona-Zeit gespürt, als diese Hilfe von jetzt auf gleich auf Monate hin ausfiel.
Christiane Lange und Inge Baeyens, Mieterinnen der ambulant betreuten Wohngemeinschaften, berichteten wiederum von ihren zwiespältigen Gefühlen auf dem Weg, sich in ihrem neuen Leben einzurichten. Es heißt dabei Abschied nehmen vom Gewohnten, aber auch Neues entdecken und beim Alltag mitreden. Der Gedanke an das gemeinsame Kochen und Essen zauberte bereits ein Lächeln auf die Lippen. Koordinatorin Irene Blaeser kennt diese widersprüchlichen Gefühle. Das Team, das die Mieterinnen und Mieter betreut, kümmert sich auch um die seelischen Belange, die im Alltag auftreten. So viel Selbstbestimmung und Mitgestaltung wie möglich und so viel Sicherheit und Hilfe wie nötig, lautet die Devise. Das Konzept geht auf. Adressiert sind Menschen, die aus gesundheitlichen und sozialen Gründen nicht mehr würdig alleine wohnen können, aber noch nicht so umfassend Unterstützung benötigen, dass sie in einem Pflegeheim leben müssen. Von solchen Modellen braucht es zukünftig deutlich mehr, die Pioniertat der Caritas Mönchengladbach, mühsam ausgehandelt und angebahnt mit Behörden und Bank, inspiriert auf diesem Weg.
Ein Teil der Entdeckungstour durchs Caritaszentrum Holt diente dem fachlichen Austausch über Bedingungen und Reformbedarfe im Bereich des weitverzweigten Feldes der Pflege. Neben den bereits erwähnten Teilnehmenden bestritten die Gespräche auf Seiten des diözesanen Verbandes die zweite Vorsitzende Sr. Maria Ursula Schneider SPSF und Stephan Reitz, Fachreferent für Alter und Pflege, und auf Seiten des regionalen Verbandes Manuela Jansen, Bereichsleiterin für Alter und Pflege, sowie Astrid Schultes, Leiterin des Caritaszentrums Holt, und Ursula Aengenvoort, stellvertretende Leiterin der Tagespflege Holt. Beim Besuch der Wohngemeinschaften sprang auch kurz Christoph Habrich vorbei, der sich als 2. Vorsitzender in der Caritas Mönchengladbach engagiert und ansonsten in direkter Nachbarschaft als Seelsorger der Pfarrei arbeitet.
In den Blick rückten vor allem die Hürden, Barrieren, Stolpersteine, die der Caritas in ihrem Einsatz für alte und kranke Menschen begegnen. "Wir wollen uns um Menschen kümmern, nicht um Papiere", bekräftigte Christof Wellens. Frank Polixa kann ein Lied vom Staffellauf der Zuständigkeiten und vom Dschungel der Regelungsdetails singen - und es ist wahrhaft kein fröhliches. Da braucht es schon eine hohe, von Werten befeuerte innere Motivation, um zu investieren und Projekte trotz ungünstiger Bedingungen beharrlich zu realisieren. In Anwaltschaft für die Menschen, um die es geht, schlägt die Komplexität im Pflegesektor auch auf die Situation der hilfsbedürftigen Personen und ihrer Angehörigen durch. Viele sind mit dem unübersichtlichen Wust an Zuständigen, Zuschüssen, Bedingungen und Formularen überfordert. Und widersprüchlich und inkonsistent ist die politische Diskussion bei kombinierten ambulanten Hilfen, etwa von Tagespflege und ambulanten Pflegeleistungen zuhause. Wenn sich bestimmte Vorstellungen durchgesetzt hätten, wäre das auf eine so starke Erhöhung des Eigenanteils der Angehörigen hinausgelaufen, dass ein Großteil der betroffenen Familien die ambulanten Hilfen finanziell nicht mehr hätte stemmen können. Das Thema ist - vorerst - vom Tisch, und so sollte es nach Ansicht der Caritas auch bleiben.
Neben diesen unmittelbaren kritischen Anfragen auf den Zustand von Recht und Verwaltung hin ging es auch um die drängende Frage des Fachkräftemangels. Dieser erfasst immer mehr Branchen und Berufe. Die Pflege ist davon nicht ausgenommen. Die Caritas zahlt gut und bietet einen Rahmen für Arbeitsbedingungen, der im Vergleich zu vielen anderen Anbietern etwa aus dem privaten Bereich attraktiv ist. Diesen Standard möchte der Verband nicht unterschreiten, weshalb er eine gegenläufige politische Initiative vor einigen Monaten nicht unterstützt hat. Trotz dieser tariflichen Qualität altern auch in den Einrichtungen und Diensten der Caritas die Belegschaften, kommen zu wenig junge Leute nach. Der Mönchengladbacher Verband trommelt laut und bildet stark aus, aber es ist nicht einfach, Nachwuchs für die Pflege zu gewinnen. Jetzt räche sich, dass der Zivildienst weggefallen ist, analysierte Sr. Maria Ursula Schneider SPSF, er habe allen Seiten beständige Zugänge erschlossen.
In einem abschließenden Pressegespräch bekräftigten Günter Krings MdB (CDU), Gülistan Yüksel MdB (SPD) und die Kommunalpolitikerin Ulla Schmitz (Bündnis 90/Die Grünen) die Grundanalyse der Caritas-Fachleute, dass es verstärkter gesellschaftlicher Anstrengungen im Pflegebereich bedarf. Die Problemanzeigen in Richtung Förderkulissen, Bürokratie und Eigenanteil der Angehörigen bei ambulanten Hilfen nehmen sie mit in ihre Wirkungsbereiche. Diese Zusagen sind die ersten Früchte des Wahlkampfes, von dem Stephan Jentgens sprach. Die politisch Verantwortlichen auf diese Weise zu inspirieren, sie mit dem Alltag und den Nöten von modellhaft Engagierten wie der Caritas in Mönchengladbach zu konfrontieren, ist ein Weg, den der Verband weiter beschreiten will. So nimmt die Caritas ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr, betonte der Diözesancaritasdirektor - als Wegweiser auch im binnenkirchlichen Suchprozess, wie sich die Kirche in Zukunft aufstellt.
Autor: Thomas Hohenschue
Quelle: Caritasverband für das Bistum Aachen